Hebamme Dr. Clarissa Schwarz

Gedichtsammlung

Noch ehe du kamst

Noch ehe du kamst
warteten wir bereits
auf dich

noch ehe du kamst
haben wir dich
schon geliebt

noch ehe du kamst
verloren wir dich
wieder

nichts ist mehr so
wie es früher war

denn bevor du
gegangen bist
hast du uns
verändert

noch ehe du kamst
hast du unser Leben
bereichert

nicht alles davon
haben wir
verloren

die Liebe
zu dir
wird
bleiben

Petra Hillebrand: Flieg, kleiner Schmetterling. Gedanken zur Trauer um ein Kind. Tyrolia Verlag Innsbruck-Wien. 2. Auflage 2011, S. 4


Es geschieht

Es geschieht,
dass eine kleine Seele
die Erde nur streift.
Ihr Ankommen und Gehen
fallen fast in eins.

Ihr kurzes Verweilen
ist nicht umsonst,
denn sie verändert die Erde.
Sie hinterlässt Spuren
in den Herzen derer,
die sie erwartet haben.

Doris Keller


Ein Hauch von Leben

Nur ein Hauch von Leben,
mehr war es noch nicht.
Nur ein Hauch von Leben,
trotzdem vermissen wir dich.

Für kurze Zeit nur bei uns,
nicht genug dich richtig kennenzulernen.
Für kurze Zeit nur bei uns,
gingst viel zu früh zu den Sternen.

Vergessen werden wir dich nie,
bist in den Sternen und im Wind.
Vergessen werden wir dich nie,
du bleibst für immer unser Kind.

Wir werden nicht aufhören dich zu lieben,
auch wenn der Verlust wird immer schmerzen.
Wir werden nicht aufhören dich zu lieben,
du bist in unseren Gedanken und unseren Herzen.

Carolin Semmelroth


Unendlichkeit

Deine Geburt
habe ich eigentlich
nicht begriffen.
Wo kamst du her?
Rasch besetzte ich
dein Kindergesicht
mit meiner Liebe.
Der Unendlichkeit
deines Daseins
war ich mir sicher.

Deinen Tod
habe ich eigentlich
nicht begriffen.
Wo gingst du hin?
Meine Liebe ist
auf der Suche
nach dir.

Der Unendlichkeit
deines Daseins
bin ich mir sicher.

Renate Salzbrenner


Du kleines Wesen hast uns viel gegeben

Du kleines Wesen hast uns viel gegeben,
warst ein kurzer Teil von unserem Leben,
schenktest uns Freude, Sehnsucht, Schmerz,
Du bist fest verankert in unserem Herz.
Wir lieben dich, zu ziehest nun fort,
an einen, für uns bislang, unbekannten Ort.
Doch dort sind wir eines Tages wieder vereint,
wo Herzen lachen, wir uns umarmen, Liebe scheint.

Felix Isenbügel 2020


Worte von der anderen Seite

Wenn du versinkst
im Meer deiner Tränen,
dann weine ich mit dir.
Wenn du leise lächelst
durch den Schleier der Tränen,
dann lächle ich mit dir.
Wenn du die Liebe spürst
inmitten deiner Tränen,
dann jauchze ich vor Glückseligkeit.
Dann strömen Licht und Trost in dein Herz.
Und auf den Schwingen der Sehnsucht,
in zeitloser, innerster Verbundenheit
fliegen wir gemeinsam
in den unendlichen Weiten des Seins –
im Leben getrennt,
doch in der Liebe vereint.

Inga Elisabeth Olsen: Wie ich dich fühle. Gedichte für Trauernde. Edition Riedenburg. S.21


Memento

Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang.
Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?
Allein im Nebel tast ich todentlang,
und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.
Der weiß es wohl dem Gleiches widerfuhr:
Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
doch mit dem Tod der andern muss man leben.

Mascha Kaleko


Wir erinnern uns

Beim Aufgang der Sonne und bei ihrem Untergang
erinnern wir uns an dich,

beim Wehen des Windes und in der Kälte des Winters
erinnern wir uns an dich,

beim Öffnen der Knospen und in der Wärme des Sommers
erinnern wir uns an dich,

beim Rauschen der Blätter und in der Schönheit des Herbstes
erinnern wir uns an dich,

zu Beginn des Jahres und wenn es zu Ende geht,
erinnern wir uns an dich,

wenn wir müde sind und Kraft brauchen,
erinnern wir uns an dich,

wenn wir verloren sind und krank in unserem Herzen,
erinnern wir uns an dich,

wenn wir Freude erleben, die wir so gerne teilen würden,
erinnern wir uns an dich

so lange wir leben, wirst du auch leben,
denn du bist ein Teil von uns, wenn wir uns an dich erinnern.

Jüdisches Gebetbuch


Du kannst Tränen vergießen

Du kannst Tränen vergießen,
weil er gegangen ist
oder Du kannst lächeln, weil er gelebt hat.

Du kannst Deine Augen
Schließen und beten,
dass er wiederkehrt,
oder Du kannst die Augen
öffnen und all das sehen,
was er hinterlassen hat.

Dein Herz kann leer sein,
weil Du ihn nicht mehr sehen kannst,
oder Du kannst voll der Liebe sein,
die ihr geteilt habt.

Du kannst Dich am Morgen abwenden
Und im Gestern leben,
oder Du kannst morgen glücklich sein
wegen des Gestern.

Du kannst dich an Ihn erinnern,
nur daran,
dass er gegangen ist,
oder du kannst sein Andenken bewahren
und es weiterleben lassen.

Du kannst weinen und
Dich verschließen
Leer sein und Dich abwenden,
oder Du kannst tun,
was er gewollt hätte:

Wieder lächeln lernen,
Deine Augen wieder öffnen,
lieben und leben.

(Verfasser unbekannt)


Aufhebung

Sein Unglück
ausatmen können
tief ausatmen
so dass man wieder
einatmen kann

Und vielleicht auch sein Unglück
sagen können
in Worten
in wirklichen Worten
die zusammenhängen
und Sinn haben
und die man selbst noch
verstehen kann
und die vielleicht sogar
irgendwer sonst versteht
oder verstehen könnte

Und weinen können
Das wäre schon
fast wieder
Glück

Erich Fried


Wenn Du bei Nacht den Himmel anschaust

Wenn Du bei Nacht den Himmel anschaust,
wird es Dir sein, als lachten alle Sterne,
weil ich auf einem von ihnen wohne,
weil ich auf einem von ihnen lache.
Du allein wirst Sterne haben, die lachen können!
Und wenn Du Dich getröstet hast,
wirst du froh sein, mich gekannt zu haben.

Aus: Antoine de Saint-Exupéry. Der kleine Prinz


Lange saßen sie dort und hatten es schwer

Lange saßen sie dort und hatten es schwer.
Aber sie hatten es gemeinsam schwer
und das war ein Trost.
Leicht war es trotzdem nicht.

Aus: Astrid Lindgren. Ronja Räubertochter